Auf dem Weg ins Hotel Chelsea:
Im Hotel Chelsea ist heute Open House als Abschluss eines schon die ganze Woche stattfindenden Projekts, bei dem der Künstler und Kurator Markus Ambach das Hotel Chelsea zum Kulminationspunkt zwischen Künstlern, Stadt und Öffentlichkeit macht.
Die plan-Veranstalter haben den Künstler und Kurator Markus Ambach gebeten, für eine Woche Regisseur und Moderator der Hotel Chelsea Suites zu sein, einer Versammlung von internationalen Hotelgästen, die nicht nur untereinander in produktiven Kontakt treten, sondern vor allem mit dem plan-Publikum in ausschweifende Kommunikation geraten sollen. Ein Projekt, bei dem Ambach das Hotel Chelsea „zum Kulminationspunkt zwischen Künstlern, Stadt und Öffentlichkeit macht. Wo sonst gelangweilte Handlungsreisende, verstohlene Paare, glücklose Spieler und touristische Kolonialherren ihren Auftritt auf der Bühne der Stadt vorbereiten, diskutieren Künstler zwischen Federkern und Fußbassin über die Möglichkeiten, diese Stadt zu revolutionieren: ob politisch, ästhetisch, emphatisch oder enigmatisch – wo liegen die Möglichkeiten beim direkten wie unvermittelten Kontakt zwischen Kunst und Stadt?“
Die drei Stammbewohner und abendlichen Gastgeber Yvonne P. Doderer, Christoph Schäfer und Markus Ambach selbst präsentieren die oberste Etage des Hotels als offenes Haus – mit der Kippenberger-Suite(!) als zentralem Treffpunkt und Aktionsort: Hier begegnen sich Gäste aus Kunst, Literatur, Musik, Architektur, Stadtplanung, Theorie und Politik, mit Performances, Videoscreenings, Ad-hoc-Ausstellungen, Lesungen, Gesprächen und Getränken, kulinarischen Genüssen und Müßiggang im komfortabel-melancholischen Charme eines Hotels, das vor 25 Jahren im Zenit des Kölner Kunstgeschehens eröffnet wurde.
(...)
Die plan-Besucher können täglich ab 13 Uhr vorbeischauen oder sich mit einzelnen Hotelbewohnern verabreden. Im Laufe des Tages werden die Hotelzimmerverhältnisse vom jeweiligen Inszenator des Abendprogramms in eine Installation verwandelt. Die Besucher sind eingeladen, sich auch schon im Vorfeld mit den beteiligten Künstlern auszutauschen und ab 20 Uhr an den performativen Aktivitäten
teilzunehmen.
(aus dem plan 10 Prospekt)
Eine Ankündigung der Art, bei der ich immer denke, könnte einerseits sehr interessant werden, andererseits jedoch auch komplett nach hinten losgehen in dem Sinne, dass es einfach nur 'Kunst' ist und das wahre Leben lediglich interpretiert und nachspielt, ohne es in den kreativen Schaffensprozess zu integrieren. Um es direkt vorweg zu nehmen. Der Schuss ging - aus meiner Sicht - vollkommen nach hinten los. Was sehe ich also in der architektonisch viel geruehmten obersten Etage des Hotel Chelsea? Leere Getraenkeflaschen, bewusst dekorativ(?) aufgehaeufte Muellberge, an die Wand gepinnte Bettleinen sowie braune Pappschilder mit aufgemalten Slogans aus der Mottenkiste der sog. 68er Bewegung. All die Sachen, die ich damals (vielfach von Vinylscheiben kommend) lebte und als Transparent auf Demos vor mir hertrug ("Friede den Huetten, Krieg den Palaesten" etc. etc. - den Rest habe ich verdraengt, aber den kennt ja sowieso jeder). Absolut nichts Neues, Kreatives dabei, keinerlei ironische Brechung. Und das ist nun das Ergebnis eines einwoechigen kreativen Schaffensprozesses. Ich fotografiere ja gern und viel, hier jedoch entdecke ich lediglich eine beschriftete Bettdecke, die ich Lust habe, abzulichten.
Die vielgeruehmte Architektur der obersten Etage sagt mir ueberhaupt nicht zu, ich finde sie einfach nur unruhig und verwirrend. Ganz nett sind lediglich die dachterassenartigen Balkone, auf denen rotweintrinkende Besucher sitzen. Jedoch nicht zu vergleichen mit der Gemuetlichkeit und dem Charme der nicht weit vom Hotel Chelsea entfernten Wohnung incl. Dachterrasse mit Blick auf den Dom, die ich vor ca. 10 Jahren mit einer dort wohnenden Bekannten des oefteren frequentierte und in die ich fast eingezogen waere.
In der Kippenberger Suite (!) (das in der Ankuendigung gesetzte Ausrufezeichen scheint wohl sehr wichtig zu sein) luemmeln sich Besucher auf Bett und Boden und lauschen einem angetrunkenen, nicht uncharismatischen Herrn, der an Hand einer vom Laptop kommenden Bilderserie die Geschichte der Stadtentwicklung von weit vorchristlicher- bis hin zur Neuzeit zum Besten gibt. Zwischendurch weist er immer wieder darauf hin, dass er die falsche Praesentation mitgebracht habe und wesentliche, seinen Vortrag untermalende Bilder, fehlen wuerden. Ich finde den Vortrag am Anfang ganz interessant, auch wenn mir der Redner ein wenig zu selbstverliebt und oberlehrerhaft daherkommt. Er scheint eine ganze Menge (vor allem weiblicher) Fans im Publikum zu haben (und wohl auch ziemlich bekannt zu sein, obwohl ich noch nicht einmal seinen Namen weiss - und auch nicht wissen will).
Irgendwann, als er in der Neuzeit angelangt ist, kommen vermehrt Slogans oder vielmehr Worthuelsen wie 'Das Ende der neoliberalen Stadtentwicklung' oder aehnliches. Vor allem das Wort 'Gentrifizierung' ist jetzt andauernd zu hoeren. Als Beispiel kreativen Widerstands von unten gegen sog. von oben oktroierte neoliberale Stadtentwicklung und Gentrifizierung werden aktuelle Massnahmen von Aktionsbuendnissen in Hamburg breit ausgewalzt. Als Beispiel fuer Kreativitaet und Innovation wird z.B. das Aushaengen von gelben, dreieckigen Wimpeln anstatt von Transparenten sowie die Rede waehrend einer Demonstration von einem Balkon aus mit schnurlosem Mikrophon dargestellt. Das schnurlose Mikrophon wird vom Redner noch mehrmals positiv besetzt erwaehnt und scheint fuer ihn der Inbegriff fuer neue, kreative Aktionsformen zu sein.
Ich gehe also wieder eine Etage tiefer, wo einige Grueppchen von Besuchern Wein oder Bier trinkend zusammen stehen oder sitzen. Sorry, dass ich das so sagen muss, aber diese Besucher erfuellen genau das Klischee der blasierten, wichtige Gespraeche fuehrenden, ach so fortschrittlichen Kuenstler und/oder Intellektuellen, die einen auf Revoluzzer machen. Das wirkt irgendwie aufgesetzt (also ganz anders als im WP8 in Duesseldorf, das ist fuer mich 'richtiges' Leben). Obwohl ich ja selten einem Schwaetzchen abgeneigt bin und mich gerade auch mit Andersdenkenden gern auseindersetze, habe ich hier ueberhaupt keine Lust, an der Kommunikation teil zu nehmen. Ich unterhalte mich per Zufall nur kurz mit dem "Kuenstler und Kurator" Markus Ambach (ich muss gestehen, ich kenne ihn nicht und habe auch keine Lust, ihn zu ergoogeln) und erfahre, dass das Projekt ein voller Erfolg war. Nun gut. Ich fuer meinen Teil beschliesse, Wein und Bier und die anderen Besucher stehen zu lassen und mache mich lieber auf den Heimweg - obwohl ich ja gestehen muss, zumindest ganz kurz daran gedacht zu haben, zu fortgeschrittener Zeit nach fortgeschrittenem Alkoholgenuss aller Beteiligten durch bewusstes Einlassen auf die dort gefuehrten Diskussionen doch noch zu meinem Spass zu kommen, nicht zuletzt auch in nonverbaler Hinsicht bei einer der anwesenden Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts.
Ich flaniere also durch das naechtliche Koeln langsam zum Hauptbahnhof und beschaeftige mich mit dem oder fotografiere das, was mich interessiert und mir gefaellt. Waere ich ein typischer Besucher des Events soeben im Chelsea Hotel, wuerde ich so etwas schreiben wie:
Ich
dokumentiere diejenigen Bezirke des oeffentlichen Raums, in denen die
Unterprivilegierten und Sprachlosen versuchen, durch subversive
Kreativitaet eine eigene Ausdrucksform zu finden und in denen sie
sich den durch neoliberale Stadtplanung und
warenfetischistisch auf Profitmaximierung ausgerichtete Markenkampagnen
segregierten oeffentlichen Raum zurueckholen.
Dann wuerde ich noch
einem kleinen Verweis auf die Situationisten einschieben und ganz
nebenbei erwaehnen, aus meinen vielen tausend entsprechenden Fotos aus
Staedten wie Amsterdam, New York, San Francisco,
Los Angeles, Koeln oder Duesseldorf, eine Ausstellung zu organisieren - nein vielmehr
ein
Projekt zu starten, das einerseits den Sprachlosen ein Forum zur Verfuegung stellt,
auf dem ihnen durch die Art der Praesentation sowie die multinationale
Gesamtschau ihre Sprache wiedergegben wird und andererseits durch Exploration und Praesentation des, nach allgemeinem Verstaendnis, als belanglos und nebensaechlich, ja schmutzig und stoerend Empfundenen, der oeffentliche Raum ein Stueck weit zu seiner urspruenglichen Bestimmung zurueckgefuehrt wird.
Zum Schluss noch ein paar Impressionen aus dem Chelsea Hotel in New York (ich weiss nicht, ob dieser geschichtstraechtige Ort bei der Namensgebung des Etablissements in Koeln Pate gestanden hat), das Charme hat, in dem man erlebte Geschichte und Dramen spuert und in dem ich mich sofort wohl fuehlte. Nein, ich habe dort nicht gelebt, sondern auf meinem Streifzug durch Chelsea und Greenwich Village lediglich der (fuer sich allein schon lohnenswerten) Lobby einen Besuch abgestattet.