Mit martialischen Begriffen aus dem Vokabular der Kriegsberichterstattung will Gerhard Jochem in SPON demonstrieren, wie die Amerikaner nach dem 2. Weltkrieg der 'Deutschen Kultur' den Garaus gemacht haben.
Das fängt schon beim Titel und den Zwischenüberschriften an:
Weihnachten als Propagandawaffe
Santa, der sanfte Killer
Santa over Germany
Zuerst einmal wird der amerikanische St. Nikolaus mit dem kommunistischen Despoten Erich (Honecker) in Beziehung gebracht:
Langfristig aber ließ sich der mutierte Nikolaus in Westdeutschland
ebenso wenig bei seinem kalendarischen Vormarsch vom 6. Dezember zum
Weihnachtsfeiertag aufhalten wie in der DDR der Sozialismus in seinem
Lauf.
Eine weitere Parallele zwischen den beiden Roten - Erich und Nick -
ist das besondere Verhältnis zu Ochs und Esel: Während der eine ihren
Widerstand gegen das Arbeiter- und Bauernparadies fälschlicherweise als
überwunden ansah, machte ihnen der andere - typisch amerikanisch -
unter der Mehrheit der deutschen Weihnachtsbäume als Krippenfiguren
eiskalt den Garaus.
Das Funktionieren der Freien Marktwirtschaft in Bezug auf Film, Musik und Nahrung wird so uminterpretiert:
Prinzipiell war die Idee, mittels strahlender Kinderaugen die
moralische Überlegenheit des eigenen Systems zu beweisen, unschlagbar.
Im Zangenangriff der Werbemaschinerie von US-Industrie und Hollywood
wurde Weihnachten global amerikanisiert. Wer kann sich das Fest heute
noch ohne Bing Crosbys "White Christmas" oder Santa mit der
Coke-Flasche vorstellen?
Das wundervolle White Christmas von Bing Crosby (das sogar ich mag, der mit Weihnachten nun gar nix am Hut hat) wurde also den Abermillionen von Käufern und Hörern als Teil eines Zangenangriffs aufgezwungen!?
Selbstlose und in Eigeninitiative von US-Soldaten und deren Angehörigen organisierte Beschenkungen von Waisenkindern werden so gedeutet:
Der unbändige "Christmas Spirit" der Soldaten und ihrer Familien brach
sich Bahn in lokalen Spendenaktionen und Einladungen, die für den
"Amerika-Dienst" fotografisch festgehalten wurden.
So öffnete etwa Anfang der fünfziger Jahre der US-Frauenclub im
schwäbischen Vaihingen Waisenkindern ein Fenster ins amerikanische
Weihnachtswunderland, indem er sie für einige Stunden bei GI-Familien
unterbrachte. Die Übergabe des obligatorischen, mit Geschenken
gefüllten Strumpfes wurde abgelichtet und an deutsche Redaktionen
verteilt. Die Szene wirkt etwas steif,
Ursache dafür könnte die Unsicherheit der Gastgeber angesichts der
(Wieder-)Bewaffnung des kleinen Deutschen sein - im Bild mit
Revolvergürtel.
Ich glaube, zu dieser Zeit hat wohl fast jedes Kind in Deutschland (und nicht nur dort) irgendwann einmal eine Spielzeugpistole geschenkt bekommen, egal ob von deutschen oder englischen oder Eltern sonstiger Nationalität. Nur bei einem Amerikaner wird das - auch wenn es ironisch gemeint sein soll - mit der (Wieder-)Bewaffnung der Deutschen in Zusammenhang gebracht.
Und nun wird es richtig ekelhaft. Nach dem anfänglichen Vergleich mit der sozialistischen Diktatur der DDR kommt nun noch eine Gleichsetzung mit Massnahmen der faschistischen Staatsführung im 3. Reich mit ins Spiel.
Für die mit soviel Gastfreundschaft Bedachten war der Besuch
wahrscheinlich der Anfang vom Ende der deutschen Weihnacht. Ältere
hatten noch die Vereinnahmung des Festes durch die Nazis mit Bescherung
durch "Onkel Hermann" (Göring) und "Stille Nacht" via Radio für die
Ostfront erlebt. Wünschten sie sich eine weniger schwermütige Variante
im Stile der Sieger? War das deutsche Christkind der Entnazifizierung
zum Opfer gefallen?
'Lieber' Gerhard Jochem, wenn die amerikanischen Soldaten nicht gegen das faschistische Deutschland gekämpft hätten, wärest Du entweder unter dem Faschismus eines 'Onkel Hermann' oder dem totalitären Kommunismus sowjetischer Prägung aufgewachsen. Und wenn es den von den USA initiierten Marshall-Plan nicht gegeben hätte, hättest Du als Kind so etwas exotisches wie eine Banane nie zu Gesicht geschweige denn in Mund oder Magen bekommen!
Ein deutsches Kind spielt glücklich mit einem Modellauto, das es geschenkt bekommen hat. Was kann man daraus noch machen?
Bei deutsch-amerikanischen Begegnungen jedenfalls entstanden unter dem Tannenbaum weiterhin symbolträchtige Bilder - etwa 1956, als
der Private First Class Leonard J. Gerardi - extra-cool mit Siegelring
und Zigarette - und der Seligenstädter Waisenjunge Dieter - mit
messerscharfem Seitenscheitel - auf der vom "Pioneer Club" in
Hanau organisierten Weihnachtsfeier für deutsche Kinder mit einem
Mercedes SL-Modellauto spielten: Der große amerikanische Bruder und
sein kleiner deutscher Schützling mit dem Luxus-Cabrio auf der Fahrt
durch das Wirtschaftswunder.
Der Amerikaner ist extra-cool mit Ziegelring und Zigarette - zur damaligen Zeit haben wahrscheinlich 95 % aller Männer in Deutschland geraucht, ob Amerikaner oder cool oder nicht. Und wahrscheinlich 95 % aller kleinen Jungen hatten einen messerscharfen Seitenscheitel - mich eingeschlossen.
Was in anderem Zusammenhang als positives Beispiel von Integration und Muktikulti angesehen würde, wird hier als gnadenloser Propagandafeldzug entlarvt:
Die US-Propagandisten nutzten in diesen Jahren Weihnachten visuell und
verbal gnadenlos zur Vermittlung eines positiven Images ihres Landes: Santa Claus im trauten Gespräch mit einem afroamerikanischen Jungen, glückliche - und vermutlich laute - amerikanische Kinder mit ihrem Weihnachtsgeschenk, einem "Dixieland Band Set".
Amerikanische Kinder können nicht einfach nur glücklich sein - auch wenn sie so aussehen. Zumindest sind sie noch vermutlich laut. Was spukt einem Schreiber solcher Zeilen eigentlich im Kopf herum?
Ok, jetzt kommt noch eine Passage, bei der die darin enthaltene Kritik zutreffend und gerechtfertigt sein könnte:
... und US-Boys in Ringelhemden spielten arglos mit radioaktiven Substanzen. Die offizielle Unterzeile für das Horrorfoto von 1954
klingt herrlich schräg: "Weihnacht im Kinderland. Ein
Experimentierkasten, der auch eine Probe Uraniumerz und eine kleine
Einführung in die Geheimnisse der Atomenergie enthält."
Aber auch da bin ich erst einmal vorsichtig. Uraniumerz kommt in unterschiedlichen, auch für Menschen unschädlichen Konzentrationen vor. Worum es sich genau in diesem Experimentierkasten handelte, konnte ich nicht ergoogeln. Vielleicht kann mir da jemand weiter helfen?
Gar nicht leise rieselt die antiamerikanische PR, so wie sie in unseren Mainstreammedien inzwischen Standard ist und kaum mehr auffällt.
Noch dazu durchzieht den gesamten Text ein Tenor, der einige deutsche Werte und Traditionen (bzw. was der Autor dafür hält) in einer Form betrauert, die von der Deutschtümelei mancher Ewiggestriger nicht weit entfernt ist.
Übrigens halte ich Gerhard Jochem zu Gute, dass er neben diesem Traktat zwei interessante Artikel mit bewegenden Zeitzeugenberichten von Überlebenden des Holocaust veröffentlicht hat.
[Alle Hervorhebungen in den Zitaten sind von mir]
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