Der Zug ist pünklich und ich erreiche rechtzeitig das erste Meeting in Rotterdam - von Eingeweihten auch Die Stadt der wohlfeilen Angsthasen genannt. Der Chef der Empfangsdelegation begrüsst mich herzlich und wir ziehen uns zur ersten Gesprächsrunde zurück. Danach ist es schon Abend und nach einem ausgedehnten Mahl beginnt das vorbereitete Unterhaltungsprogramm. Mir wird eine junge Polin zugeteilt mit einem Aussehen und Namen, wie sie sich wohl jeder deutsche Spiessbürger vorstellt. Mein Fall ist das eigentlich nicht, jedoch ich bin ja flexibel und sage nicht nein. Nach der üblichen Prozedur - das einzig erwähnenswerte in diesem Zusammenhang sind ihre lila Brustwarzen - unterhalten wir uns. Nadja erzählt, sie sei nur Gelegenheitsprostituierte. Sie warte immer auf eine Gelegenheit, bei der sie einmal nicht(!) als Prostituierte arbeiten kann. Aber leider sei diese Gelegenheit noch nie gekommen. Sie hat angeblich lange in Medzilaborce gelebt und dort u.a. als Kassiererin im örtlichen Andy Warhol Family Museum Of Modern Art gearbeitet. Bei dieser Gelegenheit machte sie mit den spärlichen ausländischen Besuchern ihre ersten Erfahrungen in ihrer jetzigen Tätigkeit. Über irgendwelche verschlungenen Pfade wurde sie einmal vom BND angeworben und konnte im Rahmen ihrer Einsätze ihre Erfahrungen und ihr Talent als Gelegenheitsprostituierte einsetzen. Bei einem viermonatigen Einsatz in Nordkorea entkam sie mehrmals nur knapp Verhaftung und sicherem Tod. Sie war ganz auf sich allein gestellt ohne Verbindung zur Aussenwelt und ihrem Dienst.
Bei diesem Punkt der Geschichte wird sie an den nächsten Teilnehmer unserer Tagung weitergereicht und mir wird Nour zugeteilt. Sie ist ein dunkler, arabischer Typ und entspricht schon eher meinen Vorlieben. Ich habe jedoch keine Lust mehr auf die üblichen Sexspielchen und will nur reden. Nour erzählt, sie komme aus Damaskus. Sie war dort mit zwei vielversprechenden Kindern glücklich verheiratet, bevor ihr Mann Achmed sich - aus eigentlich lauteren Motiven, das Geld hatte ihn geblendet - in terroristische Machenschaften verstrickte. Er sorgte im letzten Moment noch dafür, dass die Bombe nicht mit ihrer vollen Wirkung detonierte und rettete dadurch viele Menschenleben. Jedoch er starb an den Folgen der Verstrahlung, die er sich beim Bau der Bombe zuzog. Das warf sie aus der Bahn und brachte sie auf den Weg, den sie jetzt berufsmässig beschreitet. Zwischen den Sätzen schaut sie mit ihren schönen dunklen Augen des öfteren mit einer eigenartigen Traurigkeit in imaginäre Fernen. Dann wird Nour jedoch schnell wieder fröhlich und erzählt z.B., dass sie ein grosser Fan des deutschen Kabarettisten Dieter Nuhr sei. Er sei einer der wenigen Künstler in dieser Sparte, der die - aus ihrer Sicht - richtigen und wichtigen Themen in seinem Programm angehe. Sie kann auch Texte aus seinem Programm zitieren, z.B. diesen hier:
Was ich dringend mal sagen wollte, ist: Gewalt ist keine Lösung.
Zumindest nicht, wenn man kleiner ist. Ansonsten war in der
Menschheitsgeschichte Gewalt natürlich immer eine Lösung. Das finde ich
übrigens unerfreulich! Sehr unerfreulich. Es ist aber so. Wenn einem
der Keller voll Wasser läuft, hilft es nichts, wenn man beklagt, dass
es regnet. Besser ist man erschießt die Wolke.
Bzw. das bringt ja auch nichts. Gewalt ist keine Lösung. Das Problem ist: Das wissen Gewalttäter nicht. Oder es ist ihnen wurscht.
Ich erzähle auch etwas über mich. Dass ich erst seit zwei Jahren in meinem Business tätig bin und schon wieder nach etwas Neuem Ausschau halte. Dass ich das mit meinem Job verbundene Reisen mag und auch schon einmal in Damaskus war und dort einen - man kann fast schon sagen - Freund habe. Zufälligerweise heisst er auch Achmed, genau wie ihr verstorbener Mann. Nour meint, dieser Name sei dort nicht unbedingt selten. An dieser Stelle wird auch Nour weitergereicht und beim Abschied flüstert sie mir ins Ohr: Ich mag Deine langen Haare.
Inzwischen habe ich genug von Sexspielchen und Reden, gehe allein in mein Hotelzimmer und sehe noch ein paar Unterlagen durch, um mich auf meine morgigen Sitzungen vorzubereiten, nicht ohne mir vorher noch einen Rotwein aus der Hausbar und etwas Fernsehprogramm zu genehmigen.
Der nächste Tag vergeht mit routinierten Geschäftsgesprächen und ist nicht weiter erwähnenswert. Nach Beendigung der Konferenz treffe ich auf dem Weg zum Bahnhof Nour wieder. Sie holt sich gerade ein Eis und meint, sie wäre auf dem Weg nach Damaskus und freue sich darauf, endlich einmal wieder mit ihren Verwandten einen Kuchen backen zu dürfen. Kuchenbacken in Damaskus sei inzwischen in das offizielle Besuchsprogramm für - vorwiegend - weisse, männliche Touristen aufgenommen worden. Bei diesen Veranstaltungen könne man viele lukrative Kontakte knüpfen. Zum Abschied wünscht sie mir noch Viel Glück - ganz ohne Modeerscheinungen - was immer das auch bedeuten mag.
Auf der Rückfahrt im Zug trinke ich 2 Flaschen des stärksten Trappistenbieres sowie 2 Flaschen normales Bier. Dabei beobachte ich entspannt die vorüberziehende Landschaft. Auf dem Düsseldorfer Bahnhof spricht mich ein älterer Herr in einem schlecht sitzenden Nadelstreifenanzug an und fragt, ob ich braune Lötkolben kaufen wolle. Ich verneine und frage mich, ob ich ihn nur nicht richtig verstanden habe oder das eine neue Droge ist, die ich noch nicht kenne. Dann verstaue ich meine Reisetasche im Schliessfach und gehe schnurstracks in die Kneipe direkt auf der anderen Strassenseite gegenüber des Haupteingangs. Hier ist es wie immer. Eine noch gar nicht so alte, eigentlich hübsche Frau schaut verstört in der Gegend herum und schimpft mit den - wenigen - Anwesenden. Die Kommunikation erschöpft sich in Ausdrücken wie Arsch ficken und ähnlichem. Ich trinke fortwährend Pils und Killepitsch. Auf einmal betreten zwei junge, schwarze Schönheiten das Etablissement. Eine von beiden mit der Figur und dem Aussehen eines Models - mit üppigen schwarzen Locken. Sie wollen sich zuerst an einen Platz am Fenster setzen, doch als sie mich erblicken, kommen sie herüber und setzen sich direkt neben mir auf eine Eckbank. Natürlich kommen wir ins Gespräch und ich gebe eine Runde nach der anderen aus. Weiterhin Pils und Killepitsch für mich und Weisswein und Jägermeister für Monja und Melissa (so stellen sie sich vor). Kurzzeitig stösst Siggi zu uns, ein netter, einfacher Typ, der die beiden Schönheiten wohl kennt. Siggi und ich verstehen uns auf Anhieb blendend und wir lachen und scherzen. Hinterher wundert sich Linda, dass ich Siggi heute das erste Mal gesehen habe. Sie dachte, wir seien alte Freunde.
In einem derartigen Etablissement scheint es wohl ungeschriebene Regeln zu geben, von denen ich noch nie etwas gehört habe, denn der Wirt meint zu Siggi, er solle die beiden Damen in Ruhe lassen, denn sie hätten zuerst mit mir gesprochen. Ich mische mich nicht weiter ein und Siggi entschuldigt sich und geht wieder an seinen Thekenplatz.
Monja ist die Wortführerin und Aktivere. Melissa, das Model, sitzt manchmal mit einem traurigen, nach innen gekehrten Blick, einfach nur so da. Wir beschliessen, in die Altstadt ins Engel oder Engelchen zu fahren. Ich kenne es unter dem früheren Namen Weisser Bär. Dort ist es ziemlich leer und wir trinken weiter - ich inzwischen nur noch Killepitsch. Wir treffen noch Monjas kleine Schwester, die sich zu unserer Runde gesellt. Melissa und ich kommen uns immer näher und Monja wird ein wenig sauer, da sie mich zuerst gesehen hat, wie mir Melissa hinterher erzählt. Dann wollen die Damen noch in eine kleine Bar direkt um die Ecke. Melissa und ich entscheiden jedoch, dass wir beide zu mir nach Hause fahren. Wir handeln einen Preis aus (handeln ist zu viel gesagt, sie nennt einen Betrag und ich akzeptiere sofort) und setzen uns in ein Taxi. Bei mir zu Hause geht es sofort zur Sache - bei mir funktioniert jedoch nicht alles so, wie ich es mir vorstelle, da ich einfach zu viel getrunken habe. Irgendwann schlafen wir ein und verbringen noch den gesamten nächsten Tag im Bett, abwechselnd schlafend und einfach nur kuschelnd. Ich fühle mich sehr wohl. Zwischendurch rufe ich bei der Fluggesellschaft an und buche meinen eigentlich für heute geplanten Flug nach Nepal auf morgen um.
Beim Frühstückskaffee um halb sechs Uhr abends unterhalten wir uns. Melissa ist nett, intelligent und eine interessante Gesprächspartnerin. Wir sprechen über unsere gescheiterten Ehen und Melissa erzählt, dass sie und ihr Mann ihre 4-jährige Tochter durch einen Unfall verloren haben. Weiterhin erwähnt sie, dass sie oft allein in Cafés sitze und die Menschen beobachte. Manchmal könne man schon am unterschiedlichen Stil der Kleidung sehen, dass ein Paar nicht zusammenpasse oder sich nichts mehr zu sagen habe.
Zum Abschied umarmen wir uns lange und sie drückt mich fest an sich. Danke, Melissa.
Ich lege mich sofort wieder ins Bett und schlafe bis zum nächsten Morgen durch. Noch ganz in einer anderen Welt gefangen, habe ich Schwierigkeiten, mich auf die bevorstehenden Geschäftstermine zu konzentrieren. Ich fahre zum Flughafen und steige in meinen Flieger. Die Zeit während des Fluges vertreibe ich mir mit der Lektüre zweier Bücher des Philosophen und Starkochs Franko Bekusso:
Die Kunst, Wasser in Sosse zu verwandeln und Das Wasser - Wein
- Kontinuum. Nach 18 Stunden (incl. Zwischenstopps) lande ich in Kathmandu. Im Guest House mit Blick auf den Swayambhunath Stupa lasse ich erst einmal die neue Welt auf mich wirken. Ich denke an meinen letzten Aufenthalt in Kathmandu vor ca. 15 Jahren. Ich besuchte u.a. das damals noch im Bau befindliche Kloster Lopön Tchechu Rinpoches. Mir wird ganz warm ums Herz, als ich daran denke, wie wir von Lama Kaltsang zum Essen eingeladen wurden und anschliessend zu Rinpoche durften und Segen von ihm bekamen. Der Besuch Kathmandus erfolgte als Abstecher während meines Aufenthaltes in Delhi im Rahmen des ersten öffentlichen Auftritts des 17. Karmapas.
Dann bereite ich mich auf mein Treffen mit dem der maoistischen Partei angehörenden Informationsminister Nanga Parbat vor. Das ist in den Wirren nach dem vor kurzem erfolgten Rücktritt des maoistischen Regierungschefs keine leichte Aufgabe. Ich bin jedoch - wie immer - guten Mutes. Neben den geschäftlichen Angelegenheiten möchte ich den Minister fragen, wie seine Partei mit der überall im Lande anzutreffenden Religiosität und den heiligen Stätten sowie dem tief im Volk verwurzelten buddhistischen und hinduistischen Glauben umgeht.
Herr Parbat wurde zu der Zeit, als die Maoisten noch im Untergrund gegen die Regeirung und die Monarchie kämpften, der singende Rebellenpoet
genannt, da er
neben seinem Dienst an der Waffe noch Zeit fand, die kommunistische Revolution verherrlichende Verse zu schreiben und sie auch persönlich vortrug, z.B. diesen hier:
unsere Freunde / unsere Waffen und der Bauer
unsere Feinde / der König und die Bourgoisie
unser Ziel / Nieder mit dem König - Freiheit für den Bauer!
Vor unserem Treffen mache ich noch einen kurzen Abstecher zum Swayambhunath Stupa. Ich steige die Stufen hoch und erfreue mich an den dort lebenden Affen, die alles klauen, was nicht niet- und nagelfest ist. Nach einer Stunde meditativen Verweilens mit Blick auf Kathmandu fahre ich mit dem Taxi zum Regierungssitz. Kurz vor meinem Eintreffen im Regierungspalast kommt mir plötzlich Melissa in den Sinn und ich lächle unvermittelt.
Currently playing in the background: बल्लै भो भेट, हाँसि देउ बोलि देउ
Kommentare