Samstag Morgen nach dem Aufwachen bin ich irgendwie noch nicht ganz da und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Ich höre Barbez! - das hilft. Ob es mich jedoch für die Welt dort draussen wappnet, bin ich mir nicht so sicher.
Es ist ein irgendwie seltsamer, regnerischer Tag. Ich gehe fünf Stockwerke die Treppe hinunter, ziehe meinen Hut ins Gesicht und trete auf die Strasse. An der Haltestelle direkt vor der Haustür kommt gerade meine Strassenbahn. Ich steige ein, stehe direkt vor dem Fahrkartenautomaten und krame nach Kleingeld. Plötzlich schreit von irgendwoher eine wütende Stimme etwas von Türblockade und weitere genervte Unfreundlichkeiten. Ich beachte es nicht weiter und krame weiter in meinem Kleingeld. Die genervt schreiende Stimme samt ihrem Urheber (es ist der Strassenbahnfahrer) kommt immer näher zu mir. Langsam realisiere ich, worum es geht. Eine farbige Frau undefinierbaren Alters (für mich jedenfalls) mit wild aussehenden Rastalocken hat ihren Wagen zu nah an die Tür gestellt, so dass sie nicht mehr automatisch schliesst. Es ist ein Rollwagen, an dem eine jener überdimensionalen, stabilen, zumeist blau-weiss gestreiften Plastiktüten befestigt ist, wie sie die Menschen in Afrika und Asien benutzen. Die Frau ist mir schon einige Male in unserer Gegend aufgefallen und scheint ohne festen Wohnsitz zu sein.
Der Bahnfahrer und die Afrikanerin stehen direkt neben mir und schreien sich an, während ich weiter in meinem Kleingeld krame. Der Bahnfahrer versucht ihr in äusserst aggressivem und schreienden Ton zu erklären, wo und warum der Wagen die Tür blockiert. Die Afrikanerin will das nicht einsehen, sieht das als reine Schikane ihr gegenüber an, ist jetzt ebenfalls wütend und bezeichnet den Strassenbahnfahrer u.a. als Teufel. Ich überlege, ob ich irgendwie schlichtend eingreifen soll, denke jedoch, dass es im Moment wenig Sinn macht, da beide im Moment zu sehr in ihrer Wut gefangen sind. Das Ganze endet damit, dass der Bahnfahrer den Wagen zur Seite zerrt und die Frau sich wütend und bockig auf einen Sitz direkt neben mir setzt. Die Bahn fährt los und ich ziehe meine Karte.
Dann spreche ich die - noch immer innerlich kochende - Frau in ruhigem und freundlichen Ton an. Ich sage etwas in der Richtung, dass die Art und Weise, wie der Bahnfahrer mit ihr gesprochen hat, nicht korrekt war, ihr Wagen jedoch schon die Tür blockiert hat. Sie sagt in noch aufgeregtem und wütenden Tonfall, dass ihr so etwas andauernd passiere und dass sie vor allem nachts Probleme habe. Ich erkläre ihr ganz ruhig, wo die Lichtschranke ist und ziehe ihren Wagen noch ein Stück beiseite. Sie entspannt sich, wird ganz ruhig und sagt: Ich akzeptiere das. Im Zuge der Entspannung ihrer Gesichtsmuskeln kommt aus dem vorher kämpfenden, aggressiven Antlitz plötzlich das Gesicht einer jungen, hübschen, anmutigen, verletzlichen Schönheit zum Vorschein. Ich bin total fasziniert ob dieser Verwandlung innerhalb von wenigen Augenblicken.
An der nächsten Haltestelle wünsche ich der Frau noch einen schönen Tag (sie mir auch) und steige aus, um meine Anschlussbahn zu bekommen.
Currently playing in the background: Barbez! - Pirate Jenny
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