In dem ganzen Wust von abgedrehten, esoterischen Heilsangeboten und Veranstaltungen findet man auch schon mal ein interessantes Angebot.
Ich fahre also zu den Future Studios. Hier spielen heute abend Chirgilchin,
4 Obertonsänger aus Tuva. Das erinnert mich an eines der
beeindruckendsten Konzerte meines Lebens in kleinem Rahmen in Wuppertal
vor ca. 15 Jahren. Sainkho Namtchylak
aus Tuva, in Österreich lebend und musikalisch auch in Jazz- und
Avantgardekreisen verkehrend, gab ein Konzert mit einigen Musikern aus
ihrem Heimatland, u.a. einem inzwischen verstorbenen tuvanesischen
Avantgarde Komponisten (habe leider den Namen vergessen). Vor dem
Konzert wurden wohlriechende Kräuter auf der Bühne verbrannt, um die im
Raum vorhandenen Energien auf das Konzert vorzubereiten. Ein junger
Tuvanese mit der Statur eines Bären, einer riesigen schwarzen Mähne,
einem ebensolchen Schnäuzer sowie einer beeindruckenden Obertonstimme
ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Bei seinem Anblick und der
ihn umgebenden Energie kam mir permanent Mahakala
in den Sinn. Das Konzert insgesamt war ein Ritual im besten Sinne des
Wortes und berührte etwas ganz tief in Innern meines
Speicherbewusstseins. Nach dem Konzert fragte ich die Musiker, ob ich
die entsprechende CD kaufen könne. Nein, das ginge nicht, das wäre eine
spezielle Aufführung gewesen, die so nicht wiederholt und auch nicht
veröffentlicht würde. Das konnte ich gut verstehen.
Ich komme eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn bei den Future Studios
an und parke direkt vor dem Eingang. Sofort kommt mir ein sanfter Herr
mittleren Alters entgegen und begrüsst mich durch das geöffnete
Autofenster mit Handschlag. Er gehört zu den Veranstaltern und nennt
mir seinen äusserst seltsam klingenden Namen (habe ihn vergessen). Ich
frage noch einmal nach und bemerke, das sei ja ein ungewöhnlicher Name.
Er meint, es sei sein spiritueller Name und er bedeute so etwas wie
'Messenger of Spiritual Energy'. Aha. Das macht sofort deutlich, in
welcher Art von Etablissement ich gelandet bin. Von wem er seinen Namen
verliehen bekommen hat oder was noch dahinter steckt, will ich dann
schon gar nicht mehr wissen.
Ob solch himmlischer und sanfter
Energie setze ich mich ganz entspannt auf eine Bank direkt neben dem
Eingang und komme mit einem liebenswerten älteren Paar ins Gespräch.
Der Mann war 25 Jahre seines Lebens Park Ranger, u.a. im Grand Canyon.
Beide strahlen die Aura von Menschen aus, die mit sich im Reinen und in
Harmonie mit der Welt sind. Wir fachsimpeln u.a. über die verschiedenen
Arten von Health Food Stores in Arizona.
Die Musiker von Chirgilchin
sind dabei, ihre Sachen auszuladen und den Auftritt vorzubereiten. Mit
einem von ihnen unterhalte ich mich über Sainkho, die er natürlich
kennt sowie über Musik aus Tuva. Von ihm bekomme ich auch die
Information, dass der Komponist aus dem Konzert vor ca. 15 Jahren
inzwischen verstorben ist.
Der
Veranstaltungsraum wird all meinen Befürchtungen gerecht. Auf Schritt
und Tritt esoterischer Symbolismus, vor allem das Stargate Motiv, in
diesen Kreisen allgemein verstanden als Synonym für Aufstieg und
Entwicklung. Über der Bühne laufen Werbetafeln aus dem Angebot des
esoterischen Gemischtwarenladens Sedonas und Umgebung.
- Lymphatic Massage, Raw Chocolate and Live Music - das soll Cellulitus reduzieren...
- Avalon Organic Gardens, Farm and Ranch
- Cosmo Arts presents Cosmic Gifts of the Earth
- Gabriel of Urantia and the Bright and Morning Star Band
- etc. etc. ...
Auf
der Bühne stehen 4 Plastikstühle der einfachsten, billigsten Sorte für
die Musiker bereit. Hier kommt mir zum ersten Mal der Gedanke, dass den
auftretenden Musikern nicht genügend Respekt erwiesen wird und diese
esoterische Entourage (um nicht zu sagen Bagage...) sich mit den auftretenden Künstlern nur schmückt und in erster Linie sich selbst feiert.
Im Hintergrund läuft schrecklichstes Esoterikgedudel und das Publikum unterhält sich.
Die Musiker kommen auf die Bühne und setzen sich auf die für die
vorbereiteten billigen Plastikstühle - 3 Männer und eine Frau in
schönen traditionellen Gewändern. Und dann bin ich baff. Keiner nimmt
von ihnen Notiz oder beachtet sie. Das ekelhafte Hintergrundgedudel
läuft weiter und auch das Gemurmel des Publikums verstummt nicht. Die
Musiker sitzen da und warten. Nach einigen Minuten tritt eine sehr
professionell agierende Moderatorin auf die Bühne und macht einige
Ansagen. Natürlich zuerst einmal über Future Sounds und von ihnen
initiierte Veranstaltungen und Projekte. Schliesslich kommt sie auch
auf die auf den Stühlen wartenden Musiker zu sprechen und erklärt, dass
die gesamte Veranstaltung als Webstream aufgezeichnet wird. Deshalb
darf ich übrigens auch nicht fotografieren, wie mir der Messenger of Spiritual Energy
schon vorher mitteilte. Verstehen kann ich das nicht ganz, denn ich
wies ihn darauf hin, dass ich ohne Blitz fotografieren würde, um
Aufzeichnung und Musiker nicht zu stören.
Nachdem die Stargate
Entourage sich genug selbst gefeiert hat, dürfen Chirgilchin endlich
anfangen zu spielen. Und wieder bin ich baff. Der hell erleuchtete Saal
wird nicht abgedunkelt. Die schönen Gesänge und teilweise klagenden
Melodien entfalten bei einem solchen Licht natürlich nicht ihre Wirkung.
Das Equipment und die Crew für die Aufnahme des Webstreams sehen in
meinen Augen sehr professionell aus. Ein Techniker mit einer Handcamera
wuselt andauernd im Publikum und vor den Könstlern herum. Das ist ok
für den Webstream und für die Künstler ist es sicherlich interessant,
im Netz übertragen zu werden. Ich wage jedoch - auch als Laie - zu
bezweifeln, dass es dazu unbedingt notwendig ist, die Festbeleuchtung
anzulassen.
Mein erster Eindruck, als ich die Palstikstühle sah, hat
sich voll bestätigt. Mir geht das selbstverliebte, zum grossen Teil
sternentorientierte Esoterikvölkchen mehr und mehr auf die Nerven.
In der Pause kommt jedoch noch einmal eine nicht für möglich gehaltene Steigerung.
Für
einen Werbeblock innerhalb der Webaufzeichnung wird u.a. ein Video des
schon vorher beworbenen und als Plakat überall an den Wänden präsenten Gabriel of Urantia gezeigt. Es ist nicht zu fassen. Sein
Gesang hält, was sein Aussehen verspricht. Eine hohe, quäkend jammernde
Stimme besingt irgendwelche Energien und
Aufstieg-zu-den-Sternen-Visionen. Im Hintergrund ein diesen Sermon auf
die penetranteste Art und Weise unterstützender, weiblicher
Backgroundchor sowie sich dazu entrückt auf Jede-Zelle-meines-Körpers-ist-glücklich-Niveau
bewegende Frauen. Ich dachte, das
Jede-Zelle-meines-Körpers-ist-glücklich-Video ist nicht mehr zu toppen,
doch jetzt werde ich eines Besseren belehrt. Um das Maß voll zu machen,
wiegt sich zu diesem Sermon ein wie ein Volvo fahrender Alt-68er Lehrer
oder Soziologe aussehender Herr zum
Jede-Zelle-meines-Körpers-ist-glücklich-Sternentanz.
Wer Mut und Durchhaltevermögen hat, kann sich hier das Video - auf eigene Gefahr - zu Gemüte führen.
Ich
möchte jetzt gerne einen Wein oder ein Bier trinken. Oder auch mehrere.
Alkohol gibt es jedoch natürlich nicht in diesem Etablissement. Also
kaufe ich mir eine kleine Flasche Wasser und einen - ich muss gestehen
- sehr guten organischen Sesamriegel.
Ich komme noch kurz mit dem
Parkranger a.D. ins Gespräch, der total begeistert von dem Konzert und
ein wohltuender erdverbundener Gegensatz zu der mich umgebenden
esoterischen Entourage ist.
Der 2. Teil des Konzerts findet
weiterhin unter Festbeleuchtung statt. Nach dem Ende der Veranstaltung
gehe ich schnell nach draussen und drücke mich schnell am 'Messenger of Spiritual Energy' vorbei, um mich nicht noch einmal mit ihm unterhalten zu müssen, da ich Angst habe, dabei die Contenance zu verlieren.
Chirgilchin haben mir wirklich gefallen und unter *normalen* Umständen wäre es ein schönes, stimmungsvolles Konzert geworden.
Und hier zur Reinigung von dem ganzen esoterischen Brimbamborium etwas Handfestes:
Currently playing in the background: Psychic TV - Higher and Higher
Kommentare